Posts by: Chris
Domizil
Autechre — Oversteps
Als Autechres neustes Album Oversteps am 19.03. erschien, bekam ich es als verspätetes Geburtstagsgeschenk — und zwar von mir selbst. Aus der Vergangenheit. Total überraschend. Und das kam so: Ein paar Wochen vorher bin ich über @nerdcoreblog auf einen Autechre Livestream aufmerksam gemacht worden (den ich im Nachhinein natürlich verpasste). Habe mich aber auf der Seite umgeschaut und gesehen, dass es bald ein neues Album gibt. Die Aufmachung der Deluxe Vinyl Version und die Soundsamples haben mich sofort begeistert und auf Umwegen zu Amazon und einer Vorbestellung geführt, die ich prompt vergaß. Als dass Paket dann am Releasefreitag im Büro lag war die breitgrinsende Überraschung perfekt.
»Jede Musik basiert auf Mathematik. […] Nimm zum Beispiel 808 State. Das ist pure Mathematik, Musik wie nach Gleichungen gebaut. Unsere Musik funktioniert nach Formeln. Wir bauen Stücke, die die physikalischen Formeln von Gas oder Wasser simulieren. […] Wir sind von solchen Simulationen vollkommen besessen.«
Damit hat Sean Booth von Autechre im Grunde alles gesagt. Die Deluxe Vinyl Edition kommt in einem Kartonschuber daher und enthält neben zwei Plattentaschen einen drittes Sleeve, das ein Poster und den Code zum Download des Albums in digitaler Form befähigt (wenn das allein nicht ein Kaufgrund ist!). Das komplette Album ist ein riesiges Klangexperiment irgendwo zwischen Minimal-Noise und harmonischer Melodik. Allen Teilen gemein ist der im Zentrum positionierte schwarze Farbkleks nur durchbrochen von kryptischer Typographie.
Ständig knarzt, knallt und rauscht es quer durch weite, traumwandlerische Ambientteppiche, die sich am Rande unserer Galaxie und kurz vor dem REM-Schlaf zuhause fühlen dürften, wenn man sie denn verorten müsste. Sie wehren sich in ihrer berechneten Unberechenbarkeit allerdings elegant dagegen und bleiben am Liebsten indifferent. Der handgearbeitete dunkle Fleck ist nie ganz deckend. Das Innere der Sleeves glänzt dagegen neckisch in lackiertem Neongelb. Oversteps ist kein leichtes Hörvergnügen — keine Fahrstuhlmusik — dennoch wohnt jedem Track eine Ruhe inne, die die Komplexität des Gehörten vergessen lässt. So bleibt man — auch wenn man nicht genau weiß wann, was, warum und wie — zufrieden zurück, während die Klänge weiterziehen auf ihrem Weg in die Unendlichkeit.
Art der Unterhaltung
Mitten im Gespräch. Moment. Handy. Wie selbstverständlich wechseln. Vernetzter. Kürzer. Könnt ich twittern. All lifes a show. Kenn ich schon. Hab ich schon. Weiß ich. Vorgestern gelesen. Im Blog? Im Feed! Wikiklugscheissen. Gern. Immer und mobil. Always on. Direkter Draht zur Wolke. Allwissend im Kollektiv. Dein Status, mein Update. Schneller, mehr. Übersicht? Fehlanzeige. Scheißegal. Datenstrom. Mitgerissen. Schwimmlehrer, auch nett. Find ich nicht. Find’ste nicht? Google Dich und schüttle mich. Datenkrake, Ungeheuer.
open lights
Offene Lichter in privaten Räumen zu installieren war die Aufgabe der weltweit ersten Biennale für internationale Lichtkunst, die im Zuge der Ruhr 2010 stattfand. Sie wurde mit Bravour erfüllt. Von Wohnung zu Wohnung ziehen, an fremden Haustüren klingeln, in unbekannte Keller hinab oder auf alte Dachböden hinaufsteigen ist an sich schon eine nicht alltägliche Erfahrung, die mich stark an meine Einsätze als Zählerableser bei den Stadtwerken in Iserlohn erinnert hat. Einblicke in kleine, persönliche Reiche. Dann die oftmals überraschenden Werke in diesen absurd-alltäglichen Umgebungen zu erleben und vor allen Dingen mit den Bewohnern oder Betreuern, stellenweise sogar mit den Künstlern selbst ins Gespräch zu kommen, macht den Reiz des Konzepts aus.

Man stellt dann fest, dass es vielfach den Besucher auch gar nicht benötigt, weil der interessante Teil allein zwischen dem Künstler, seinem Werk und dem Gastgeber stattfindet und funktioniert. So explizit und ausgiebig hat sich wohl noch keiner der beteiligten Anwohner mit einer — seiner! — Installation auseinander gesetzt. Von übertriebener Euphorie über herrliche Interpretationen bis hin zu direkter Abkehr á la »Und das soll Kunst sein?!« war wohl alles dabei. Besonders faszinierend auch die uns geschilderten Entwicklungen, die sowohl das Kunstwerk schätzen lernten aber auch sich davon loslebten.
Allen Werken gemein ist die wunderbare Komposition von Ort und Installation bzw. Gastgeber und Künstler gewesen, die man dem lichterfahrenen Kurator Matthias Wagner K zu verdanken hat.

Dummerweise habe ich erst zwei Tage vor dem Ende der Aktion von ihr erfahren, denn für alle 60 Stationen, die sich auf die Städte und Gemeinden Bergkamen, Bönen, Fröndenberg/Ruhr, Hamm, Lünen und Unna verteilten hätte man sich gut und gern eine Woche Zeit nehmen können. Zumal man auch noch im Rahmen der Biennale die Gelegenheit gehabt hätte das Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna zu besuchen.