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Posts by: Chris

Rahmenlos — zweiter Akt

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Guten Abend meine Damen. Guten Abend die Herren. Guten Abend auch an alle anderen dazwischen und darüber hinaus. Rahmenlos! 4. 4. Vierzehn. Dieses Datum ist bereits über ein Jahr her. Ich. Hier. An genau diesem Ort saß ich und eröffnete mit diesen Worten die erste Rahmenlos. Ein Jahr. Mehr als 365 Tage. Oft kommt es mir viel länger vor — damals 1945 auf der Rahmenlos, wir hatten ja nichts, aber gelesen habe ich — und wie ich gelesen habe! Könnt ihr euch nicht vorstellen! — und dann es gibt Momente in denen bin ich dort, also hier, aber vor über einem Jahr. Alles liegt in diesen Momenten vor mir. Wie ein weites Band breitet es sich aus. Es braucht nur einen Aufhänger. Einen kurzen Gedanken, der die Erinnerung zurückholt. Einen Funken. Einen Blitz. Jetzt geht es gleich weiter. Es gongt, alle nehmen ihre Plätze wieder ein — haben die Pause genutzt und sich hoffentlich mit Getränken versorgt. Herzlich willkommen zum zweiten Akt.

Der Mensch ist eine erstaunliche Maschine. Neben der Wahrnehmung von elektromagnetischer Strahlung mit Wellenlängen von etwa 380 bis 780 Nanometer mit zwei leicht versetzten Sensoren, die eine echte, quantifizierbare Tiefenwahrnehmung und räumliche Wirkung des Außenraums im Gehirn ermöglichen, finden wir ebenfalls zwei Sensoren für die Wahrnehmung von kleinsten Druck- und Dichteschwankungen in elastischen Medien, sprich: mechanischen Wellen von 16 Hertz bis 20 Kilohertz. Direkt daneben Sensorik zur Feststellung und Regulierung von Drehbewegungen, zur Wahrnehmung von Beschleunigungen und zur Bestimmung der Richtung der Erdanziehungskraft. Rezeptoren für Temperatur und Druck, die kleinste Veränderungen an der kompletten äußeren Hülle registrieren und zur Verarbeitung weitergeben. Außerdem Knospen zur chemischen Überprüfung eingehender Nahrung und zu guter Letzt Sensoren zur Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts der menschlichen Funktion. 
Dennoch nehmen wir nur ca. 5% aller eingehenden Information wahr. Die restlichen 95% bleiben verborgen. Aus gutem Grund. Allein dieser Bruchteil kann uns bisweilen überfordern. 

Was aber passiert, wenn man selbst dieser gefilterten Auslese nicht mehr vertraut? Wenn man nicht mehr weiß, wie man mit der Außenwelt umgehen soll? Die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, dass durch das Internet, die ständige Erreichbarkeit und die Beschleunigung der Gesellschaft die durschnittliche Aufmerksamkeitsspanne in der man sich mit einer einzigen Tätigkeit befasst kaum mehr 15 Minuten erreicht. 
Ich stehe also im Petersdom in Rom — für die nicht Katholiken unter euch: Das ist sozusagen die Bathöhle des Papstes — der Fuchsbau der Christen — also imposant und geschichtlich wichtig, doch wenn die Reiseführer es ihnen nicht erzählt hätten, die meisten hätten es nicht wahrgenommen. Zu sehr waren sie damit beschäftigt in ihre iPhones und iPads und Androids und anderen Utensilien zu stieren, Auslöser zu drücken und zum nächsten Exponat zu hasten. Sie konservieren ihre nicht gemachten Erinnerungen in kleinen — aber zahllosen — Rähmchen auf Speichern, die nicht mehr ihre Gehirne sind. Wie oft schaut man sich die Hunderten von Tausenden Photos noch einmal an? Ein weiser Mann hat mir einmal gesagt: Wenn Du etwas photographiert hast, dann nimm die zehn schönsten Bilder und schmeiß die Hälfte davon weg. Es braucht nur einen Aufhänger. Einen kurzen Gedanken, der die Erinnerung zurückholt. Einen Funken. Einen Blitz. Aufmerksamkeit, das kommt von Aufmerken. Die Geräusche, die Düfte, die Stimmung, Berührungen, das alles können selbst unendliche Photoalben (noch) nicht wiedergeben. Aber wir können es. Für uns. In uns. Aber wir müssen offen sein. Die Dinge an uns herantreten lassen. Nicht durch verpixelte Displays hindurch. So wie sie sind. So wie sie uns berühren. Wir müssen unsere Scheuklappen fallen lassen. Wir müssen den Rahmen verlassen. Ihn sprengen. 

Während ich auf dem Friedhof sitzend diese Zeilen schreibe und über die vielen blanken Steine schaue, fliegen zwei Krähen über mir, die einen Bussard beharken. Krächzend lassen sie nicht von ihm ab und es ist ein Schaukampf nur für mich und er dauert doch nicht länger als ein paar Augenblick.

Die Generationen, die dort liegen, sind die Riesen auf deren Schultern wir stehen. Doch wir genießen nicht die Aussicht, sondern senken den Blick auf unser Display und wundern uns, wenn wir die Welt nicht mehr kennen und die Zeit ohne uns verfliegt. Wir werden ganz Technik. Die kleine Maschine Mensch wird Teil der großen Maschine. Wir verlieren den Sinn für die Schönheit und den Moment und verpassen die Schönheit des Moments. Dabei ist das Dasein bunt und granatenstark.

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Heute sind wir eine rahmenlose Reisegesellschaft.
Jeder Klang dringt daher klarer an unser Ohr und jeder Schein bricht sich schärfer in unserem Auge. Das Bier schmeckt bärtiger als sonst und alle Leute duften wie Rosen. Wenn dem so ist, dann spielt die Zeit keine Rolle mehr und alles ist hier. Das Heute, Gestern und Morgen und jeder Ort und jeder Traum.

Mücken tanzen im letzten Sonnenstrahl. Hunde bellen im Tal. Die Steine sind noch ganz warm. Es riecht nach frischem Rosmarin und Wäsche. Der Mond ist am dunkelblauen Himmel eine schmale Sichel. »Warum lachst Du?«, fragt ein Mann am Telefon drei Sitze hinter mir. Mehr verstehe ich nicht. Der Zug fährt gen Wuppertal. »Warum lachst Du?« Die Welt ist gekippt. Den Planeten interessiert nicht, ob er eine Atmosphäre besitzt, die menschliches Leben ermöglicht. Umweltschutz ist Selbstschutz. Es geht darum die Balance zu halten. Die Balance einer Biosphäre. 
»Das interessiert mich gar nix!«, sagt der Mann. Er redet fast ausschließlich Indisch oder Pakistanisch. »Das geht nicht. Nein, das geht nicht.«, rutscht ihm dazwischen. Es sind kurze Muster, die ich in dem vermeintlichen Kauderwelsch verstehe. Die ich dechiffrieren kann. Der Wuppertaler Hauptbahnhof sieht aus wie ein Braunkohletagebau. Sprache ist die nächste Erstaunlichkeit der Maschine »Mensch«. Ausgestattet mit Apparaturen zum Senden und Empfangen von Lauten, die bei nur leichter Verschiebung den tragischen Tod eines Individuums verantworten können, kann Sprache Wissen über Jahrhunderte hinweg konservieren, so dass — obwohl wir alle verschwinden werden — unsere Erinnerungen und Errungenschaften denen zu Gute kommen, die uns nachfolgen. Gleichzeitig ist Sprache das Werkzeug, um Vorstellungskraft in Realität zu wandeln. Neue Realität. Abdrücke der inneren Bilder, der Dinge in unseren Köpfen in denen Gedanken verzweigen und überlagern, so dass ein Eichhorn von Wipfel zu Wipfel hüpfen kann. Von Alpha bis Omega ist nur ein Katzensprung. Der Mensch ist was er ist, weil er schon immer das Gegebene hinterfragt hat. Es ist an der Zeit auch die Maschine zu hinterfragen, wenn wir nicht endgültig Teil von ihr werden wollen. Das Wichtigste sind Ideen. Keimlinge in die Köpfe zu pflanzen. Eigene Triebe schlagen lassen. Auch Umwege in Kauf zu nehmen, um nicht auf ausgelatschten Pfaden zu trampeln. Blätter aus Mund und Ohren wachsen lassen. Den eigenen Sinnen vertrauen. Dem Bauchgefühl. Oh.

(Text zur Veranstaltung vom 25.4.2015 — es gilt das gesprochene Wort)

JE SUIS CHARLIE

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Engels für Wuppertal

Am Mittwoch ist in Wuppertal eine vier Meter hohe Bronzeskulptur eingeweiht worden: Ein Geschenk.

Die Volksrepublik China schenkt der Geburtsstadt von Friedrich Engels eine Plastik. Ein Abbild des großen Philosophen. Am 11. Juni war es also soweit: Großer Bahnhof für einen großen Sohn dieser Stadt. Als guter Kommunist habe ich mir natürlich frei genommen. Dieses Schauspiel wollte ich mir nicht entgehen lassen — es hat sich tatsächlich gelohnt! Eine Veranstaltung, die in ihrer Absurdität und Skurrilität ihres gleichen sucht. Deren Vielschichtigkeit in politischen, historischen und philosophischen Fragen kaum zu begreifen ist. Beginnend mit einem scheinbar überproportionalen Polizeiaufgebot und nicht einmal einer Hand voll (offensichtlicher) Demonstranten: Tibet, natürlich. Von den angekündigten Ai-Wei-Wei-Anhängern fehlte jede Spur. Zumindest habe ich niemanden gesehen. Zu sehen war allerdings ein Großteil der Wuppertaler Politprominenz — einhellig aller Couleur. Vornhingestellt: der Ober-meister Herr Jung, der sich in einer Danksagung versuchte — dabei allerdings kläglich scheiterte.

Engels schwebt über Journalisten.

Engels schwebt über Journalisten.

In einem von Oberflächlichkeit geprägten Geplänkel ließ er es sich nicht nehmen anzumerken, dass man Herrn Engels bei uns immer mal wieder auch »durchaus kritisch« beäugt habe und beäuge. Vor dem Hintergrund der Verhältnisse ›damals‹ wären seine Thesen wohl vertretbar gewesen, doch heute sind die Arbeitsbedingungen doch besser — ›jetzt‹ und ›hier‹ bei uns. Und obwohl offen gelassen wurde, ob die Verhältnisse ›dort‹ schlechter sind und wo genau dieses ›dort‹ denn sein sollte, trat man mit diesen spärlich verpackten Anspielungen den edlen Spendern in meinen Augen entschieden zu nah — oder nicht nah genug? Wie dem auch sei: die Delegation lächelte tapfer weiter — wie es so ihre milde Art ist. Herr Jung wollte eine Lanze für die soziale Marktwirtschaft brechen: »Es ist nicht alles schlecht! Wir brauchen diesen Engels doch bei uns gar nicht.« Es klang wie eine billige Rechtfertigung: Warum und wieso man — er! — sich nicht mit den Theorien eines Marx und Engels beschäftigen muss. Im Engelsgarten machte sich Ratlosigkeit breit: sollten die Chinesen ihre Statue wieder einpacken? Hier würde sie allem Anschein nach tatsächlich nicht benötigt.
Einen Ausweg aus der aussichtslosen Position, in die er sich (gedankenlos, unwissentlich, trotzig?) manövriert hatte, suchte er dann in der Wirtschaft und, auch wenn man sich dort mit den folgenden chinesischen Rednern traf, eigentlich ist es traurig.
Ein Friedrich Engels hat soviel mehr verdient als Plattitüden, die bezeugen, dass sich jemand — er! — noch nie mit dem außerordentlichen Leben auseinandergesetzt hat. Es war, als ob ein Blinder vom Farbfernsehen spricht. Aber was sollte man von einem wertkonservativen Politiker mehr erwarten? Er war geradezu dazu angetreten das Klischee der Ablehnung allen linken Gedankengutes zu betonieren. Doch zumindest etwas mehr Wert, wenn es denn schon konservativ sein musste, hätte ich mir gewünscht. Mehrwert. Wertschätzung: Des Geehrten, der Gäste, der Wohltäter. Von denen traten nun gleich drei an, um zu reden, aber auch hier blieb es nett oberflächlich. Wahrscheinlich auch der Sprachbarriere geschuldet, wich man immer wieder auf die sich anbahnenden Touristen und die Stärkung der guten wirtschaftlichen Beziehungen aus.

Einzig der Künstler — Prof. Dr. Zeng — wagte sich etwas weiter vor. Er betonte seinen Gruß an die Bürger und versuchte wenigstens kurz zu umreißen was den Reiz eines Engels in China ausmacht: Wahrgenommen als Universalgelehrter vergleichbar mit unseren Herren Goethe und Schiller sehen wir im Engelsgarten kein Abbild des Fabrikantensohn aus Barmen. Kein Schnappschuss aus dem bewegten Leben des Revolutionärs und Gesellschaftstheoretikers. Viel mehr steht dort ein Mythos: Ein chinesischer Siegfried. Ein bergischer Buddha. In den asiatischen Kulturen ist der Übergang zwischen realer Geschichte und fantastischer Erzählung viel fließender, als in unserem Kulturkreis. Unser penibler Wahn mühselig Realität von Fiktion zu trennen versperrt uns an dieser Stelle einen Zugang. Dieser knapp vier Meter hohe Titan ist die Geschichte eines deutschen Denkers und Revolutionärs, die gen Osten erzählt und dort weitergetragen wurde. Eine Sage für die räumliche Entfernung keine Rolle spielt, sondern die auch einem Meister Zeng als Kindheitsheld erhalten geblieben ist. Dieser alte Weise kann und will seine asiatischen Einflüsse nicht leugnen: sei es die markante Form der Augen und Wangenknochen oder sein Gewand. Engels selbst war nie in China, sein Geist — sein Abbild — ist immer dort und wird dort weitergesponnen.

Sein — durch sein Erleben im Deutschland des 19. Jahrhunderts geprägtes — Leben hat nicht nur in Europa, sondern in Asien und auf der ganzen Welt das Denken und Leben vieler anderer Menschen bis heute beeinflusst. Und auch wenn sich ein Herr Jung dagegen sträuben mag: ohne Engels und Marx und ihre Schriften wären die Arbeitsbedingungen heute hier noch lange nicht so gut. Laut der Welt ist »Historisches Bewusstsein […] das hehre Ideal, für das [Museumsleiter] Illner brennt«, vielleicht sollte er beim OB etwas Nachhilfe geben. Wenn wir Engels nicht gedenken und bewusst weiterdenken, dann werden wir in Zukunft nicht bestehen!
Denn auch wenn ein chinesisches Sprichwort besagt ›Nur großartige Orte (wie Wuppertal) können großartige Menschen (wie Engels) hervorbringen.‹ sollten wir dies nicht als gegeben hinnehmen, sondern daran arbeiten seinem Beispiel zu folgen.

Rahmenlos

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Guten Abend meine Damen. Guten Abend die Herren. Guten Abend natürlich und besonders auch an alle dazwischen und darüber hinaus. Rahmenlos! Vierte, Vierte, Vierzehn. Das Datum fast zu quadratisch für den Titel von diesem …Zelt. Eine Clublesung. Als Gregor mich fragte, ob ich dabei wäre, habe ich leichtsinnig und direkt zugesagt. Jetzt bin ich hier. Vorweggeschickt weg! Die Vorhut, die Avantgarde sozusagen. Wir hatten vor Monaten zusammen gesessen und über mehr Kunst, mehr Performance und mehr von allem gesprochen. Wie hätte ich jetzt — im Auge des Sturms, die Grillzange den dräuenden Wolken zum Trotze entgegen gereckt — »Nein.« sagen können. Nein-Sagen ist sowieso nicht meine Stärke. Erst recht nicht wenn der Orkan tost und die wenigen verbliebenen Haare im Wind flattern. Dann schwört man sich gefälligst Treue und lässt andere Leute nicht wortwörtlich im Regen stehen. Ich bin also mitten drin. Mitten drin in was? Dem Prozess — eher nicht. Auch wenn der Situation durchaus kafkaeskes anhaftet. Gestellt vor die Aufgabe etwas rahmenloses zu gestalten sieht man sich selbst doch immer wieder nach genau diesen Begrenzungen suchen. Überall stoßen wir auf Rahmen in unseren Köpfen. Was soll es heute also geben? Klassisches Cello, Orientalische Visuals, Balkanische Beats und elektrische Diskothek — woran kann ich ein Wort knüpfen, woran Sätze binden, welche Schleife lohnt es sich zu drehen? Es ist Frühling! Noch immer treibt mich, was zum Kern des heutigen Daseins geworden ist. Tue ich was wir alle tun. Tagtäglich! Ich finde. Oder finde nicht. Je nachdem von welcher Seite man betrachtet.

Ein Thema, die richtigen Worte, die große Liebe, der Google — alles will gefunden werden! Zum Schreiben fehlt oft der richtige Ort. Eine Stimmung. Ruhe. Eine Laune, aus der heraus etwas spinnt, entspringt — wie ein Quell oder roter Faden. Wie finde ich das wichtigste: mich selbst? Bei sprudelnden Wassern oder im dunklen Kämmerlein?

Und weil die Vögel zwitschern, dass die Luft so frisch und grün ist, da steige ich die Sedowa hinauf mit Proviant vom Myska. Ein Fladen aus Tyrol. So flach wie Antons Texte, denk ich mir und schreib es auf … der Parkbank sitzend, während die Sonne langsam sinkt. Der Hauch umspielt mich immer noch warm. Die Farben des Moments sind Orange und Blau. Es gibt auch Fledermäuse am Knopfmacherturm. Wild und eckig ist ihr Flug — fast mechanisch. So wie die Webstühle einst im Tal, nehm’ ich den Faden wieder auf, zieh’ ihn durchs Öhr und bevor ein Kamel noch hindurch kann verlass ich Kaisers Höh’n. Fühle mich wie ein Nomade in der wüsten Einöde meiner schweifenden Flausen. Am Horizont zahllose Fatamorganen, nirgendwo eine Oase. Ein stolzer Tuareg mit blauem Schal in endlosem Sand. Dort wird es abends doch frisch und ich muss am Morgen früh raus: Mechanisch, so fängt einen der Alltag.

Ein paar Tage später — die Fahrt geht gen Norden — häng ich dem Rahmenlosen wieder nach. Grund ist das Wetter: verspielt aprillen im tiefsten März. Denn wenn einem überhaupt nichts einfällt: Das Wetter hilft immer. Solche Regenbögen hab ich nie gesehen! Perfekt, komplett, gleich doppelt. Double rainbow in the sky! Wieder sinkt die Sonne langsam. Es ist ein goldiges Licht. Wie ein Bernsteinzimmer am Himmel.

Das echte modert in Nazikisten an einem geheimen Ort in Wuppertal. Vohwinkel, wahrscheinlich: Nah der Schiene unter meterdickem Stahlbeton — wird erzählt. Es sind die spannenden Geschichten, die sich einprägen, ob man will oder nicht. Kratzer und Schrammen müssen sie haben. Nicht perfekt sein, verdammt! Aus dem Rahmen fallen! Was tue ich mit einem schnurgeraden Leben, wenn ich alle Chancen und Möglichkeiten rechts und links des Weges liegen lass? Welche Geschichten will ich erzählen, wenn die Enkel am Fuße des Ohrensessels neugierig lauschen? Die geraden Hölzer werden gefällt, nur die knorrigen Bäume überdauern Jahrhunderte. Auch dieser Text ist gewachsen, krumm und schief. Von einem Impuls zum nächsten. Nicht jeder Auswuchs wird ein starker Zweig, doch das Scheitern ist ein bitterer Spaß! Unkonstruierte Hinterkopfgewächse entfalten sich zu lyrischer Blüte und öffnet man erst die Fluttore ergießt sich was wir »Strom der Gedanken« nennen. Er reißt mich mit, prustend strampele ich an die Oberfläche, kein Ufer ist in Sicht, der Fluss folgt keinem Lauf! Denn auch wenn es Anfang und Ende einer Überlegung gibt, sind sie doch wie Häfen einer Reise über das »Meer der Erinnerung« in dem wir schwimmen. Diese Reise hat kein Ziel! Diese Reise ist das Ziel! Fischer, Fischer, wie tief ist das Wasser? Die Flut der Eindrücke kann überschwemmend sein, sie einzudämmen ist absurd! Deshalb: Lasst euch treiben zu neuen Ufern …

(Text zur Veranstaltung vom 4.4.2014 — es gilt das gesprochene Wort)

Versuchsgruppe: Gegenüber 2009-2010

Das Langzeitprojekt »Versuchsgruppe: Gegenüber« entstand aus den zwei Bildern »RGB« und »RGB2«. Eine häßlich-graue Fassade war auf einmal doch nicht so langweilig wie auf den ersten Blick gedacht. So wurde sie zu meinem Beobachtungsobjekt. Über ein Jahr photographierte oder illustrierte ich den Ausschnitt wochentags fast täglich — pseudowissenschaftlich. Es entstanden über 130 Bilder. Das Projekt gipfelte in einem absurden Zufall, als genau ein Tag nach dem Ende des ersten Jahres der Kopf der Straßenlaterne komplett ausgetauscht wurde. Inzwischen dokumentiere ich nur noch sporadisch zu besonderen Anlässe — wie zum Beispiel den Spiderman im Artikelbild.

Feiertage

Es schneit. Leise rieselt — an Ostern. An Karfreitag. Am stillen Karfreitag. Es rieselt der Schnee.

Immer wieder führen die — oftmals christlich geprägten — Feiertage zur Diskussion: Ob der Öffnungszeiten von Geschäften, ob der mit ihnen verbundenen Religion oder — wie heute — ob der an ihnen verordneten Stille. Ich schaue aus dem Fenster, beobachte die dicken Flocken und bin froh. Froh, dass mir ein Tag wie dieser aufoktroyiert wird. Natürlich sehe ich es nicht so. Ich mag entscheiden zu können ob und wann und wo. Ich mag mich frei entscheiden zu können. Aber ich nehme solch ein Angebot gern an und ich muss schmunzeln, wenn dann gerade an so einem banalen Thema wie einem Feiertag sich die Gemüter erhitzen. Gibt es nicht genug Ver- und Gebote von Oben™ über die man sich viel besser aufregen kann und sollte? Bei dem ganzen Gängelungswahn kann ich nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sich die Wut an den armen Festtagen entlädt, die den Menschen doch nun wirklich nur Gutes wollen! Feiertage sind doch toll! Der christliche Hintergrund kann mir doch ziemlich egal sein, wenn er mich nicht interessiert. Der Feiertag ist Chance und soll nicht Hürde sein!

Ein legitimierter, freier Tag mehr! Um zur Ruhe zu kommen. Um sich Gedanken zu machen. Um zurück zu blicken. Um den Verstorbenen zu gedenken. Wie vernagelt — ein Kalauer sei mir auch heute gegönnt – muss man sein, dies nicht zu schätzen! Ist es der Zwang? Entlädt sich nur, was sich Tag ein, Tag aus aufstaut? Weil man überall einstecken muss, wenn man sich nur ein Stück vom gesteckten Pfad entfernt? Wenn einem Tanz und Feierei von gestörten Nachbarn schon im Alltag torpediert werden, ist ein Aufbegehren am Feiertag ein — zwar bissiger, doch verständlicher — Reflex. Doch »Aug um Aug« ist selbst im Testament mit »alt« markiert.

Wenn der Alltag einen hetzt, dann ist es doch ganz wunderbar einmal innehalten zu können. Sich besinnen. Neuen Mut fassen. Gerade das Innehalten und das Wertschätzen des Geschaften und Geschaffenen wird heutzutage oft vergessen. Der scheubeklappte Blick ist strickt nach vorn gerichtet. Jetzt und Zukunft — zu mehr reicht die Zeit gar nicht. Weiter geht’s! Das ein gutes Ergebnis immer seine Zeit benötigt. Das ein gutes Produkt vor allen Dingen Ergebnis von intensiver Recherche und Planung ist. Das der Wert eines Produkts sich eben nicht nur durch seine Materialien bemisst. Es scheint kaum noch jemanden zu interessieren. Verwunderlich! Nennen wir uns doch gern selbst Dienstleistungs- oder Bildungsgesellschaft. Es wird zu oft nur noch auf die blanken Zahlen gestiert. Dabei ist es doch der Mensch, der zählt. Und es ist eben dieser Mensch, der auch einmal ein paar Stunden für sich und seine Lieben benötigt. Ein paar Stunden ohne Groll. Ein paar respektvolle Stunden. Feierstunden — auch mal still-ruhend, wie der See bei Schnee.

AM LIEBSTEN

Spam-Mails sind doch etwas ganz wunderbares:

AM LIEBSTEN IN CHRISTUS,
ICH BIN FRAU RITA GRADEK COUGHLAN VON KUWAIT.  ICH BIN MIT HERRN JERRY COUGHLAN VERHEIRATET, DER MIT DER BOTSCHAFT VON KUWAIT IN DER ELFENBEINKÜSTE SEIT ELF JAHREN GEARBEITET HAT, BEVOR ER DAS JAHR 2010 GESTORBEN IST.  WIR SIND SEIT ACHTZEHN JAHREN OHNE EIN KIND VERHEIRATET GEWESEN.  ER IST NACH EINER KURZEN KRANKHEIT GESTORBEN, DIE SEIT NUR VIER TAGEN GEDAUERT HAT.  VOR SEINEM TOD WURDEN WIR BEIDE WIEDER CHRIST GEBOREN.
SEIT SEINEM TOD HABE ICH MICH DAFÜR ENTSCHIEDEN, EIN KIND AUßERHALB MEINES EHEHAUSES NICHT WIEDER ZU HEIRATEN ODER ZU BEKOMMEN, GEGEN DAS DIE BIBEL IST.  ALS MEIN VERSTORBENER MANN LEBENDIG WAR, HAT ER DIE SUMME DER DOLLARS VON US$ 5.8 MILLIONEN IN EINER BANK HIER IN ABIDJAN COTE D’IVOIRE ABGELEGT.  JETZT IST DIESES GELD NOCH IN DER BANK.
KÜRZLICH HAT MEIN ARZT MIR GESAGT, DASS ICH SEIT DEN NÄCHSTEN ACHT MONATEN WEGEN DES KREBS-PROBLEMS NICHT DAUERN WÜRDE.  DERJENIGE, DER MICH AM MEISTEN STÖRT, IST MEINE SCHLAG-KRANKHEIT.  MEINE BEDINGUNG GEWUSST, ICH HABE MICH DAFÜR ENTSCHIEDEN, DIESEN FONDS EINER KIRCHE ZU SCHENKEN, DIE DIESES GELD AUF DIE WEISE VERWERTEN WIRD, BIN ICH DABEI, HIERIN ANZUWEISEN.  ICH WILL EINE KIRCHE, DIE DIESEN FONDS FÜR WAISENHÄUSER, WITWEN VERWENDEN WIRD, DAS WORT DES GOTTES FORTPFLANZEND, UND ZU ENDEAVORTHAT DAS HAUS DES GOTTES AUFRECHTERHALTEN WIRD. DIE BIBEL HAT UNS GEMACHT, UM ZU VERSTEHEN, DASS “GESEGNET DIE HAND DAS GIVETH IST”.
ICH HABE DIESEN ENTSCHLUSS GENOMMEN, WEIL ICH KEIN KIND HABE, DAS DIESES GELD ERBEN WIRD UND MEINE MANN-VERWANDTEN NICHT CHRISTEN SIND UND ICH NICHT WILL, DASS DIE ANSTRENGUNGEN MEINES MANNES VON UNGLÄUBIGEN VERWENDET WERDEN.  ICH WILL KEINE SITUATION, WO DIESES GELD AUF EINE GOTTLOSE WEISE VERWENDET WIRD.  DAS IST, WARUM ICH DIESEN ENTSCHLUSS NEHME.  ICH HABE ANGST VOR DEM TOD FOLGLICH NICHT ICH WEIß, WOHIN ICH GEHE.  ICH WEIß, DASS ICH DABEI BIN, IM BUSEN DES HERRN ZU SEIN.  EXODUS 14 VS 14 SAGT, DASS “DER HERR MIT MEINEM FALL KÄMPFEN WIRD UND WERDE ICH MEINEN FRIEDEN HALTEN”.  ICH BRAUCHE KEINE TELEFONISCHE MITTEILUNG IN DIESER BEZIEHUNG WEGEN MEINER GESUNDHEIT FOLGLICH DIE ANWESENHEIT DER VERWANDTEN MEINES MANNES UM MICH IMMER.  ICH WILL NICHT, DASS SIE ÜBER DIESE ENTWICKLUNG WISSEN.  MIT DEM GOTT SIND ALLE DINGE MÖGLICH.
SOBALD ICH IHRE ANTWORT ERHALTE, WERDE ICH IHNEN DEN KONTAKT DER BANK HIER IN ABIDJAN COTE D’IVOIRE GEBEN.  ICH WERDE SIE AUCH EIN AUTORITÄTSBRIEF AUSGEBEN, DER SIE DER GEGENWÄRTIGE BEGÜNSTIGTE DIESES FONDS BEWEISEN WIRD.  ICH WILL, DASS SIE UND IHRE FAMILIE IMMER UM MICH BETEN, WEIL DER HERR MEIN SHEPHARD IST.

MEIN GLÜCK IST, DASS ICH EIN LEBEN EINES WÜRDIGEN CHRISTEN GELEBT HABE. WEM AUCH IMMER DAS DIENEN WILL, MUSS DER HERR IHM IM GEIST UND DER WAHRHEIT DIENEN.
SEIEN SIE BITTE IMMER DURCH IHR LEBEN FROMM. DAS HOFFEN, IHRE ANTWORT ZU ERHALTEN. BLEIBEN SIE SELIG IM HERRN.IHRIGER IN CHRISTUS,

FRAU RITA GRADEK COUGHLAN

Christopher Reinbothe

Dipl. Kommunikationsdesigner
@phneutral
DE, NRW, Wuppertal

THE END

Jedes Ende ist auch ein Anfang sagt man und es gibt nichts, das man ewig haben kann.